Die Rheintaler Radsportlegende Walter Graf zog sich vom aktiven Radsport zurück, ist aber noch immer mit dem Rad unterwegs. Zahlreiche Radgrössen profitierten von seinem Wissen.
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Walter Graf sammelte in seiner Aktivkarriere
(links als 21-jähriger) zahlreiche Auszeichnungen |
MÄX HASLER
RADSPORT. Wenn im Rheintal über Radsport gesprochen wird oder wurde, fiel automatisch der Name Walter Graf. Der inzwischen 72-jährige Pensionär aus der Biker-Dynastie Graf war nämlich in Radsportkreisen bekannt wie ein «bunter Hund». Um es etwas zivilisierter auszudrücken, Walter Graf war in seiner aktiven Zeit eine Radsportgrösse und in den letzten 40 Jahren sozusagen die Vaterfigur der Rheintaler Radsportszene.
Angefangen hat alles mit einem alten Damenfahrrad, mit dem er als 14-Jähriger die ersten Fahrversuche machte. «Bis ich 14 Jahre alt war, konnte ich nicht Velo fahren. Ich musste jeden Tag etwa 40 Minuten in die Schule laufen», erinnert sich der gebürtige Altstätter.
Grosse Trainerkarriere
Mit 31 Jahren beendete Walter Graf seine aktive Laufbahn (siehe Zweittext unten) und wechselte ins Trainermetier. 1976 absolvierte er in Tenero unter dem wandelnden «Radsportlexikon» Paul Köchli den ersten Trainerkurs und wurde erster J&S-Leiter in der Schweiz. Von 450 Bewerbern war er einer von 20, die den Kurs absolvieren konnten. Zwanzig Jahre später wurde der Rheintaler vom Schweizer Olympia-Komitee zum Nachwuchstrainer des Jahres gewählt. Dieses Diplom hat noch immer einen speziellen Platz in Grafs schmucker Wohnung an der Musterplatzstrasse in Balgach.
Illustre Namen
In seiner Zeit als Trainer betreute Graf einige Fahrer mit klingenden Namen. An der Olympiade in Barcelona zum Beispiel den Neuseeländer Tom Banfort. An der Bike-WM 1997 in Frauenfeld den Walzenhauser Franz Kehl. Im gleichen Jahr den Strassen-Vizeweltmeister Martin Bolt. Auch der Zweite an der Jugendolympiade, der Bernecker Patrick Wirth, profitierte von Grafs Erfahrung und Trainingsplänen. Etwa zehn Fahrer, die von ihm trainiert wurden, haben mindestens einmal an einer WM mitgemacht. Der bekannteste und auch erfolgreichste Fahrer, dem Graf die Trainingspläne, auch Periodenpläne genannt, auf den Leib geschnitten hat, war Niki Rüttimann. Dieser wurde unter dem Rheintaler Junioren-Strassen-Meister und Vizeweltmeister der Amateure. Als Profi bestritt Rüttimann siebenmal die Tour de France. In den Teams von Bernard Hinault und Greg Lemond belegte Rüttimann die Plätze sieben und elf. Und das als Helfer, wie Walter Graf speziell betont. An der Tour de Suisse war Rüttimann Zweiter der Gesamtwertung. Zweimal war der Rheintaler zudem Teamverantwortlicher.
Unvergessen ist für ihn die Tschechien-Rundfahrt mit dem damaligen Team Krapf-Cambridge (1988 bis 1993) vom Veloclub RV Altenrhein. Mit dem Damenteam der RSS Rheintal (2000 bis 2003), zu dem unter anderen Jennifer Hohl und Karin Metzler gehörten, feierte Graf auch einige nationale Erfolge.
Schülertrainings machten Spass
«Am bedeutendsten sind sicher die Erfolge der Elite- oder Profifahrer. Am meisten Spass hatte ich aber an den Schüler-Trainings. Egal ob es Spitzenfahrer waren oder nur solche, die einfach Freude am Radsport, der Kameradschaft und an der Natur hatten», fasst Walter Graf seine Trainerlaufbahn zusammen.
Fast eine Million Kilometer
Nach nunmehr 40 Jahren als Trainer geht es für Graf in den dritten Lebensabschnitt. Zwar kann man bei ihm zu Hause noch immer die legendären Conconi-Tests machen, doch das Rennfieber ist abgeklungen.
Mit dem Velo ist der junggebliebene Rentner aber noch immer verwachsen. Von sportlichen Sonderleistungen, wie zum Beispiel die Besteigung des Doms, die Überquerung des mit 5600 Metern höchsten Passes im Himalaya mit dem Bike oder quer durch die Wüste Sinai, möchte er zwar nichts mehr wissen, aber das zweite Mal mit dem Velo den Mond zu erreichen, würde ihn schon reizen: Einmal war er nämlich schon oben, und momentan ist er bereits das zweite Mal unterwegs. In Zahlen ausgedrückt heisst dies, dass er über 900 000 Kilometer abgespult hat. Die Distanz zum Mond beträgt etwa 370 000 Kilometer. Inzwischen begleitet ihn auch seine Frau, die jedoch ein E-Bike fährt, im Gegensatz zu Walter Graf, der noch immer auf Muskelantrieb setzt.
Jedes zehnte Rennen gewonnen
Sein erstes Rennen war ein Schülerrennen, in dem er mit Mutters Velo Vierter wurde. Mit seinem kargen Lehrlingslohn, Walter Graf erlernte den Beruf des Punchers (Stickereiprogrammierer), kaufte er 16-jährig sein erstes Rennvelo, das damals stolze 430 Franken kostete und das er verständlicherweise abstottern musste. Graf bestritt in seiner Laufbahn 310 Rennen, von denen er ungefähr jedes Zehnte gewonnen hat und 150-mal in die Top Ten gefahren ist.
Ein Rennen, an das er sich besonders gern erinnert, ist ein Rundstreckenrennen in Heerbrugg, an dem er hinter René Savary und vor Martin Steger Zweiter geworden ist.
Ein Rennen, das ihm unvergessen bleibt, war 1968 die Kaistenberg-Rundfahrt, an dem er unter all den damaligen Stars trotz Plattfuss den fünften Rang belegte. Als Elitefahrer war Walter Graf sechsmal Bodensee-Meister.
«Vielleicht hätte ich mehr Rennen gewinnen können, aber ich war immer zu 100 Prozent berufstätig», sagt Graf, der nie mit dem Gedanken gespielt hat, Profi zu werden. Die Chance, Profi zu werden, habe er gehabt, aber nicht den Mut, damals drei Wochen in ein Trainingslager nach Belgien zu gehen.